"Als ich nach Deutschland kam...Giuseppe Pulsiano
Gastarbeiter aus der Türkei und Italien erzählen, wie sie in den 60-iger Jahren nach Deutschland kamen und eine Deutsche Seniorin berichtet, wie sie die Zuwanderung erlebt hat. In der dritten Folge dieser Artikelserie berichtet Giuseppe Pulsiano über seine Erlebnisse:
Giuseppe Pulsiano
Geboren am: 25.11.1938
Geburtsort: Porto Empedocle
Agrigento – Italien
In Deutschland seit August 1960
Grund der Einwanderung: Arbeitsvertrag mit Klöckner Humboldt Deutz (KHD)
Beruflicher Werdegang: Maschineneinrichter bei KHD
Urlaubsort: Sizilien – Italien
Die ersten Gastarbeiter in Deutschland waren Italiener. Darunter Giuseppe Pulsiano. Als junger Mann, der außer Sizilien nichts kannte, musste er sich in einer anderen Welt durchsetzen. Zu Beginn war es sehr schwer für ihn und es hat lange gedauert, bis er mit seiner Familie hier emotional Wurzeln geschlagen hat. Doch er wirkt weder verbittert noch müde. Giuseppe Pulsiano ist ein älterer italienischer Herr, der die Gesellschaft mit Menschen mag, der gern lacht und Anekdoten erzählt.
Guten Tag, ich heiße Giuseppe Pulsiano. Ich bin im August 1960 im Alter von 22 Jahren nach Deutschland gekommen. Ich hatte einen Arbeitsvertrag bei KHD. Wir sind mit dem Zug angekommen.
Giuseppe erzählt, dass er als junger Mann in Sizilien arbeitslos war. Es gab dort keinen Job für ihn. Also bewarb er sich über die italienische Behörde in Deutschland. 3 Monate später bekam er die Nachricht, dass er ausreisen darf.
Wir waren etwa 50 Immigranten und sind mit dem Zug von Sizilien nach Napoli gereist. Dort gab es eine Untersuchung. Ungefähr die Hälfte von uns war krank. Sie hatten nichts Schlimmes, aber sie waren z.B. lungenkrank. Sie sind dann wieder nach Hause geschickt worden. Ich konnte nach Köln reisen.
Es war seine eigene Entscheidung hierher zu kommen. Niemand hatte ihn geschickt. Doch es war eine Enttäuschung für Giuseppe Pulsiano. Wie Deutschland und die Menschen hier waren, wusste er nicht. Er kannte nur Sizilien. Und plötzlich war er in Köln, lebte in einem Arbeiterwohnheim und arbeitete in einer großen Fabrik.
Ich war so traurig, dass ich Tag und Nacht weinen musste. Ich hatte Heimweh gehabt nach Italien. Ein Kollege von mir sagte, komm Joseph bleib doch, bleib hier. Ich sagte, nein ich muss weg. Aber er sagte, in den nächsten Tagen wird es besser. Nach drei Monaten habe ich mich eingelebt in Deutschland.
Zu Anfang war er allein. Als junger Mann, ohne Frau und Familie. Also ging Giuseppe in seiner Freizeit Tanzen. Die Einstellung der Einheimischen gegenüber den Gastarbeitern bekam Giuseppe zu spüren. Er hat hier einige unangenehme Erfahrungen machen müssen. Neben Schildern wie „Für Ausländer verboten“ oder Beschimpfungen wurde einmal sogar ein Mann handgreiflich.
Wir sind in ein Tanzlokal gekommen.Da stand an der Theke ein alter Mann.Er hatte mich ganz komisch angeguckt. Er war besoffen.Er kommt zu mir und sagte, bist du Italiano? Ich sagte ja. Und schon haute er mich mit der Faust auf den Kopf. Ich habe zurückgeschlagen. Schließlich habe ich ihn gefragt, warum hast du mich geschlagen?
Er sagte, ich bin in Sizilien in den Kopf geschossen worden. Da sagte ich, du Idiot, ich kann nichts dafür. Ich war damals 10 Jahre alt. Ich war ein kleiner Junge! Wir haben dann die Polizei gerufen.
Erst im Laufe der Zeit gewöhnten sich die Leute an die Gastarbeiter.
Damals war noch viel Hass, aber das wollen wir vergessen. Heute ist es besser.
Als Giuseppe in Köln ankam, wohnte er in einem Arbeiterwohnheim. Es war ein altes Studentenwohnheim. Die Toilette befand sich zu Beginn auf dem Gang, so dass sich manchmal eine Schlange bildete.
Es war eine Übergangsphase, denn hier konnte man nicht ewig leben. Im Wohnheim haben die Männer gemeinsam gekocht. Giuseppe konnte glücklicher Weise kochen, denn das deutsche Essen mochte er nicht.
Im Allgemeinen ist Giuseppe Pulsiano ein Mann der Tat. Er ist ohne Ausbildung und Sprachkenntnisse nach Deutschland gekommen. Bei KHD hat er als Maschineneinrichter bis 1992 gearbeitet. Dann, als
es der Firma schlecht ging, bekam er eine Abfindung und war 36 Monate arbeitslos. Danach ging er in Pension.
Ich habe in einer großen Halle gearbeitet. Hier standen 80 Maschinen. Drehmaschinen, Bohrmaschinen, Fräsmaschinen. Ich habe in drei Schichten 40 Stunden die Woche gearbeitet. Wenn ich keine Lust hatte… wenn der Meister kam mit der Liste, da habe ich mich hinter einer Maschine versteckt. Er fragte, Joseph,wo ist der Joseph.
Er muss selbst dabei lachen. Doch die Arbeit in der Fabrik war hart und Giuseppe hat viel gearbeitet.
Die deutsche Sprache lernte Giuseppe durch Selbststudium. Er besorgte sich Bücher auf Deutsch und Italienisch. So lernte er die Worte und wandte sie an.
Nach fünf Jahren allein in Deutschland, heiratete Giuseppe Pulsiano. Seine Frau war Sizilianerin und Giuseppe holte sie nach Deutschland. Zu Beginn war sie sehr traurig. Sie fragte sich, wo bin ich hier
gelandet und wollte zurück nach Italien.
Zum Glück habe ich eine deutsche Familie kennen gelernt. Ich habe ihnen erzählt, dass meine Frau so traurig war. Die Familie kam uns besuchen und wir sind spazieren gegangen im Königsforst. Da sagte die deutsche Frau zu meiner Frau… bleibst du hier in Deutschland? Ich komme fast jeden Tag, dann gehen wir zwei spazieren, einkaufen u.s.w.
Sie trafen sich regelmäßig und die Situation wurde besser. Langsam lernten sie andere italienische Familien kennen und seine Frau fühlte sich wohler. Schließlich organisierte ihr Giuseppe eine Arbeit. In der Werkskantine suchte der Küchenchef eine Hilfe und sie bekam die Stelle.
Trotzdem gingen die beiden zurück nach Sizilien. Zwischen 1975 und 1980 lebten sie in Italien. Hier wurde ihr drittes Kind geboren.
Das Schicksal wollte es anders, denn es gab immer noch keine wirkliche berufliche Perspektive für Giuseppe. Als sie zur Verlobung seines Bruders nach Köln kamen, besuchte Giuseppe seine Arbeitskollegen und seinen Chef.
Sie sagten, Joseph warum bleibst du nicht hier? Dein Arbeitsplatz ist noch frei. Also sind wir geblieben. Mit einem Koffer Gepäck.
Das Paar ist viel ausgegangen, vor allem tanzen.
Irgendwann kauften sie sich ihre erste Wohnung. Sie wollten nun bleiben. Durch die finanzielle Belastung konnten sie nicht mehr so oft ausgehen, denn sie brauchten das Geld.
Giuseppe Pulsiano und seine Frau haben drei Kinder großgezogen. Sie sind mittlerweile selbst erwachsen und gehen ihre eigenen Wege. Wie es dann so passiert, ist einer seiner Söhne mit einer türkischen Frau verlobt und einer mit einer deutschen Frau verheiratet.
Mein Zuhause ist hier in Deutschland und in Italien. Ich fahre für 3 bis 4 Monate nach Italien/Sizilien.Was soll ich hier? Ich bin Rentner, ich muss nicht zur Arbeit gehen. Ich bin sehr zufrieden. Ich bin glücklich.
Es war ein steiniger Weg, den Giuseppe Pulsiano gegangen ist. Doch er hat sich mit den Gegebenheiten abgefunden. Wenn es Probleme gab, hat er sich Hilfe gesucht oder sich selbst geholfen. So hat er schließlich alle Hindernisse überwunden und kann zufrieden seinen Ruhestand genießen.
Weitere Geschichten finden Sie hier: Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..."
Die Geschichten der Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..." sind außerdem in einer Broschüre erschienen. Herausgeberin ist Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Köln e.V., Frau Ulli Volland-Dörmann, Rubensstr. 7-13, 50676 Köln Layout: GNN-Verlag Köln
Die Broschüre finden Sie in zahlreichen Begegnungsorten in Mülheim ausgelegt. Oder Sie können sie direkt im IFS - Interkulturelles Forum für Senioren, in der Dünnwalder Str. 5, 51063 Köln-Mülheim bekommen.
Öffnungszeiten: Dienstag - Donnerstag: 14.00 - 16.00 Uhr