Türkei: Behörden drangsalieren Anwältin Eren Keskin mit weit mehr als 100 Gerichtsverfahren

amnesty logoAmnesty International setzt sich mit der Kampagne „Mut braucht Schutz“ für die 59-jährige Menschenrechtlerin und Trägerin des Aachener Friedenspreises ein und fordert ein Ende der willkürlichen Repressalien. Keskin wurde bereits in erster Instanz zu über zwölf Jahren Gefängnis und mehr als 70.000 Euro Geldstrafe wegen ihrer Unterstützung einer prokurdischen Zeitung verurteilt. In der vergangenen Woche wurde die Fortsetzung des Hauptverfahrens auf April vertagt.

BERLIN, 22.01.2019 – Die türkische Regierung geht seit dem gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 mit noch größerer Härte als zuvor gegen ihre Kritiker im eigenen Land vor. Menschenrechtsverteidiger stehen dabei besonders im Fokus. Unter ihnen ist auch Eren Keskin. Die renommierte Anwältin setzt sich seit Jahrzehnten für einen besseren Menschenrechtsschutz in der Türkei ein, unterstützt Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind und erhebt ihre Stimme immer wieder für die Meinungsfreiheit. Nachdem sie im Laufe der vergangenen Jahrzehnte aufgrund ihrer menschenrechtlichen Arbeit schon mehrfach bedroht, körperlich angegriffen, angeklagt und verurteilt wurde, befindet sie sich nun erneut im Visier der türkischen Behörden. „Eren Keskin ist eine der bekanntesten Personen der türkischen Zivilgesellschaft und eine unerschrockene Verfechterin der Menschenrechte in der Türkei“, sagt Marie Lucas, Expertin für Europa und Zentralasien bei Amnesty International in Deutschland. „Mit unserer Kampagne ‚Mut braucht Schutz‘ setzt sich Amnesty dafür ein, dass die türkischen Behörden die juristischen Schikanen gegen sie einstellen und dass Eren Keskin ihre Menschenrechtsarbeit ungehindert und frei fortsetzen kann.“

Mit der Kampagne „Mut braucht Schutz“ setzt sich Amnesty seit vergangenem Jahr für Menschenrechtler weltweit ein, die aufgrund ihrer Arbeit bedroht, angegriffen und getötet werden. Allein im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der NGO Front Line Defenders 321 Menschenrechtler umgebracht.
Insgesamt 129 Gerichtsverfahren gegen Keskin sind eingeleitet worden, weil sie von 2013 bis Anfang 2016 symbolisch den Posten der Chefredakteurin der prokurdischen Zeitung „Özgür Gündem“ übernommen hatte. Da es sich um einen rein symbolischen Posten handelte, hatte Keskin keinen redaktionellen Einfluss auf die Zeitung. Gleichwohl basieren die meisten Verfahren auf einzelnen Artikeln aus dieser Zeit, die in den Augen der türkischen Behörden gegen das Anti-Terror-Gesetz verstoßen oder den Präsidenten beleidigen. So befand ein Gericht Eren Keskin der „Beleidigung des Präsidenten“ für schuldig, weil in einem Artikel vom Oktober 2015 über „Mörder Erdoğan“-Sprechchöre auf einer Demonstration berichtet wurde. Wenige Tage zuvor waren bei einem Bombenanschlag mehr als 100 Menschen getötet worden. Weder die Zeitung noch Eren Keskin hatten sich die Parole der Demonstranten zu Eigen gemacht, es ging um eine rein journalistische Berichterstattung über die Demonstration. Neben Keskin ist in dem Hauptverfahren gegen die Zeitung „Özgür Gündem“ auch die prominente Schriftstellerin Aslı Erdoğan angeklagt. Sie hatte Kolumnen für die Zeitung geschrieben.

„Das gezielte Vorgehen gegen Menschenrechtler zeigt, dass die türkische Regierung die Strafjustiz instrumentalisiert, um kritische Stimmen mundtot zu machen“, sagt Amnesty-Expertin Lucas. „Sollte Eren Keskin inhaftiert werden, wäre dies ein weiterer schwerer Schlag für den Menschenrechtsschutz in der Türkei und für all die Opfer von Menschenrechtsverletzungen, denen Eren Keskin zur Seite steht.“

Hintergrund

Zur Person

Eren Keskin arbeitet seit 1984 als Rechtsanwältin und ist aktives Mitglied des Menschenrechtsvereins der Türkei (IHD) seit dessen Gründung 1986. Mehrere Jahre war sie Vorsitzende des IHD in Istanbul und stellvertretende Vorsitzende auf Landesebene. Heute ist sie Ko-Vorsitzende auf Landesebene.
Als Strafverteidigerin war und ist sie vor allem mit politischen Fällen befasst. Sie setzt sich engagiert für Opfer sexualisierter Gewalt sowie für die Rechte verfolgter Angehöriger von Minderheiten ein, insbesondere für Kurden, Armenier, Homo- und Transsexuelle und Flüchtlinge. 1997 gründete sie zusammen mit anderen Rechtsanwältinnen ein Projekt zur juristischen Unterstützung von Frauen, die in der Haft vergewaltigt oder anderen Formen sexueller Folter unterworfen wurden, das Rechtshilfebüro gegen sexuelle Misshandlungen und Vergewaltigungen in Haft.
2001 erhielt Eren Keskin für ihr Engagement den Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International. Zudem ist sie Trägerin zahlreicher internationaler Preise, unter anderem des Aachener Friedenspreises (2004), des Hrant Dink Awards (2017) und des Helsinki Civil Society Awards (2018). Sie ist eine der drei Finalisten für den Martin Ennals Award 2019.

Zu den Gerichtsverfahren

Die zehnte Anhörung im Hauptverfahren gegen die Zeitung „Özgür Gündem“ hat am vergangenen Donnerstag (17.01.2019) stattgefunden. An diesem Tag wurde die Verhandlung lediglich vertagt. Der nächste Prozesstermin in diesem Verfahren ist der 10. April 2019.
Laut Angaben ihres Anwalts sind mehr als 50 Verfahren noch in erster Instanz anhängig. Etwa 75 Verfahren sind erstinstanzlich entschieden und stehen zur Entscheidung vor verschiedenen Berufungsgerichten an.
Die in erster Instanz verhängten Strafen belaufen sich bisher insgesamt auf 12 Jahre und 6 Monate Haft und Geldstrafen in Höhe von 456.000 TL (ca. 74.600 Euro). Sollte Eren Keskin nicht in der Lage sein, die Geldstrafen zu zahlen, würden auch diese in Haftstrafen umgewandelt. Neben den 129 Verfahren im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit für die Zeitung „Özgür Gündem“ ist Eren Keskin in einigen weiteren Verfahren angeklagt, da sie die Regierung wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert hatte.

Die Kampagne „Mut braucht Schutz“
Weltweit setzen sich Aktivisten friedlich und entschlossen für ihre Rechte und die Rechte anderer ein: Sie fordern das Ende von Gewalt gegen Minderheiten und verlangen gleiche Rechte für alle Menschen. Doch aufgrund ihres Engagements werden diese Menschenrechtler selbst zum Ziel von Drohungen und Angriffen, viele bezahlen ihren Einsatz mit dem Leben. Allein 2018 wurden 321 Menschenrechtler ermordet. Mit der Kampagne „Mut braucht Schutz“ ruft Amnesty die internationale Gemeinschaft dazu auf, sich für bedrohte Menschenrechtsaktivisten einzusetzen.

Mehr Infos auf: www.amnesty.de/mut-braucht-schutz

Quelle: www.amnesty.de

Diesen Beitrag teilen, das Unterstützt uns, DANKE !

FacebookVZJappyDeliciousMister WongXingTwitterLinkedInPinterestDiggGoogle Plus

weitere Beiträge

Gesundheit und Bildung

Online-Infoabend Sprachen am 13.6.2024


dolmetscher schuleIm Online-Infoabend Sprachen informiert die Übersetzer- und Dolmetscherschule am Donnerstag, 13. Juni 2024 um 17.30 Uhr über ihre digitalen Aus- und Weiterbildungen.

Bei allen Online-Seminaren gibt es Live-Unterricht von qualifizierten Fachdozen...


weiterlesen...

Gaffel Wiess ist die perfekte Wahl für


Gaffel Wiess mit Krug Foto Gaffel honorarfreiKöln, 23. Mai 2024 – Mit dem Frühling steigt die Vorfreude auf sonnige Tage, warme Abende und gesellige Zusammenkünfte im Freien. Gaffel Wiess ist die perfekte Wahl für Outdoor-Aktivitäten und bietet mit seinem milden Charakter ein passendes Gesch...


weiterlesen...

10.05. - 23.06.2024 Vom Wert der


vom wert der wahrnehmungVom Wert der Wahrnehmung
Arbeiten von Kurt Wagner (Schüler von Oskar Holweck), Marga Wagner und Anna C. Wagner
Kabinettausstellung 10.05. - 23.06.2024

Kurt Wagner (1936–2009)
Seit den frühen 1960er-Jahren galt das künstlerische Interesse des Fotogra...


weiterlesen...

Chatbot zur Europawahl 2024


bPb LogoChatbot beantwortet wichtige Fragen zur Europawahl und zur EU // Abrufbar ab 13. Mai 2024 auf www.bpb.de und via Telegram 

Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb veröffentlicht am 13. Mai 2024 einen Chatbot zur Europawahl. Auf den Webseiten...


weiterlesen...

Angebote der bpb zu 75 Jahren


bPb LogoVielfältige Formate und Veranstaltungen zu 75 Jahren Grundgesetz // Alle Infos unter www.bpb.de/themen/menschenrechte/danke-grundgesetz/

Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb bietet im Rahmen des 75-jährigen Jubiläums des Grundgesetzes vie...


weiterlesen...

Charityveranstaltung zur Unterstützung


Sascha Dahl LOVEAm 29. Mai 2024, hat sich der Kölner Popart Künstler, Sascha Dahl die Ehre im Wasserturm Hotel Cologne erwiesen, sein Kunstwerk namens „Love“ der Aidshilfe Köln e. V. aus unterstützerischer Motivation zur Verfügung zu stellen, denn diese ist wohl ...


weiterlesen...
@2022 lebeART / MC-proMedia
toTop

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.